Zauber
der griechischen Landschaft
Der
Beginn Europas
Hier könnte es gewesen sein, an dieser Stelle der Ostküste Kretas,
an der sich das Meer nicht schroffen Felsen gegenübersieht, sondern
das Ufer etwas sanfter ansteigt, um nach einer längeren Schwimmstrapaze
das rettende und gewünschte Land zu betreten. Hier könnte Zeus,
verwandelt als weisser Stier mit der hübschen Europa auf senem Rücken
wieder festen Boden unter den Hufen gehabt haben.
Der Mythos der Griechen ist voller Vielschichtigkeit und Phantasie. Nach
diesen uralten Geschichten war Zeus wieder einmal mit seinen Adleraugen
- der Feldstecher war noch nicht erfunden - auf der Pirsch nach den Schönen
dieser Welt, zum Leidwesen seiner angetrauten Frau und Schwester Hera..
Und da am Gestade Phöniziens sah er sie - die Tochter des Königs
Agenor, wie sie voll Charme mit ihren Gespielinnen Blumen zu Kränzen
band und mit jugendlichem Übermut tanzte. Flugs gab er sich die Gestalt
eines weissen Stiers und betrat die Szene der anmutig spielenden Mädchen.
So grazil, wie es einem Stier nur eben möglich ist, scharwenzelte er
um die jungen Damen herum, bis sie die Scheu vor ihm verloren.
Europa, als die mutigste, wagte sich sogar auf seinen Rücken - eine
Tat, die sogleich erhebliche Folgen zeitigte. Denn mit ungeahnter Geschwindigkeit
brauste der Stier in Richtung Meer davon und verschwand alsbald unter den
Klagen und dem Wehgeschrei der Zurückbleibenden mit seiner süssen
Last am Horizont. Kreta war sein Ziel.
Aus den Liebesnächten der beiden entstand das Geschlecht der Minoer,
von denen bereits Homer berichtet: Der bekannteste ist der König Minos,
der seinen Wohnsitz im Palast von Knossos gehabt haben soll. Die Sage vom
Minotaurus, von Theseus und Ariadne dürfte den meisten bekannt sein.
Seine beiden Brüder waren Radamanthis, der sein Domizil im Palast von
Phaistos hatte, sowie Sarpedon, in Malia beheimatet.
Und schlussendlich war hier an dieser Stelle die Geburtsstunde für
diesen Kontinent, der unser aller Heimat werden sollte: Europa.
An dieser oben erwähnten Stelle, der wir einmal die Landungsstelle
des Zeus unterstellen wollen, befinden sich heute die Ruinen der alten Minoerstadt
Zakros. Wer den Palast von Knossos gesehen hat, der zwar m.E. mit etwas
zuviel Beton "restauriert" wurde, aber trotzdem noch sehenswert
ist, wird her völlig enttäuscht sein. Was für den Archäologen
gerade noch interessant sein mag, ist für den Laien nichtssagend. Steine,
alte Mauern, einige schattenspendende Olivenbäume - dazu lohnt die
weite Fahrt nicht. Die meisten Reiseführer berichten ohnehin nicht
viel darüber.
Aber in diesem Bericht geht es uns ohnehin weniger um alte Ruinen und den
Dunst der Vergangenheit, sondern um Menschen und Landschaften
Interessanter sind somit vielmehr die umliegenden kleinen Tavernen dieser
Uferregion, die sich jetzt Kato Zakros nennt. Es ist Sonntag heute, ein
Tag, an dem die Griechen zumeist in die Gaststätten am Meer flüchten
und in grossen Gruppen miteinander essen. Sie scheinen viel Zeit zu haben,
es macht Spass, ihnen zuzuschauen, denn was sie zun, ist eher mit "schmausen"
zu umschreiben. Viele kleine Teller auf den Tischen und jeder nimmt sich
von jedem etwas. Kulinarischer Sozialismus - so könnte man es etwashumorvoll
beschreiben.
Am Ufer hat der Wirt der Taverne Nikos Platanakis die Tamarisken mit Tomaten,
Kräutern, Artischocken und getrockneten Früchten verziert, ein
stimmungsvolles Ambiente, um im Schatten der Bäume Einkehr mit Blick
auf die stetig anbrandenden Meereswellen zu halten.
Kurze Geografie
des Ostens
Der Osten Kretas - damit wollen wir einmal weitgehend jene Region umschreiben,
die östlich einer gedachten Linie zwischen Agios Nikolaos und Ierapetra
liegt - ist zum Glück touristisch noch nicht so verdorben wie die
Orte an der Nordküste, an denen die Badetouristen in mehreren Reihen
an den Sandstränden liegen, um irgendetwas sehr Vergängliches
mit nach Hause zu nehmen - die Bräune. Hier im Osten ist noch Platz
für Individualisten
Im Norden dieses Ostens
liegt die grosse Mirabello-Bucht. An der dünnsten Stelle, der Wespentaille
von Kreta liegt im Süden Ierapetra, die südlichste europäische
Stadt. Die Temperaturen sind im Frühjahr und Herbst bis fast in den
Wnter hinein angenehm und warm. Wer mit dem Auto nach Ierapetra hineinfährt,
wird erst einmal erschrocken sein ob der vielen Gewächshäuser,
die mit Plastikfolien abgedeckt sind und zugegebenermassen die Landschaft
etwas verschandeln. In diesen Treibhäusern werden Gemüse, Obst
und Blumen gezogen, denn die milden Temperaturen im Winter fördern
das Wachstum.
Wer sich die Mühe macht und westlich von Ierapetra das auf kurviger
Strasse erreichbare Bergdorf Anatoli ansteuert oder zum grössten
Stausee Kretas fährt, der hat einen nicht gerade berauschenden Blick
auf die mehr als zahlreichen Gewächshäuser. Leider haben die
Griechen noch kein so rechtes Umweltbewusstsein. Denn es gibt viele nicht
mehr benutzte Treibhäuser - die Plastikfolie ist zerrissen, die Holzgerüste
stehen als Torso dar und der Wind zerrt an den noch anhaftenden Plastikbahnen.
Entsorgung spielt offenbar im Mittelmeerrraum noch nicht die gebührende
Rolle.
In Ierapetra wird eine Schiffsfahrt zu der Insel Chrissi, auch Eselsinsel
genannt, angeboten. Fahrtdauer eine Stunde. Die Insel ist unbewohnt und
bietet einige schöne, z.T. weisse Strände. Verpflegung und Wasser
sollte man mitnehmen, denn die Preise auf dem Schiff und drüben in
der tagsüber offenen Taverne sind alles andere als touristenfreundlich.
Im Nordosten führt
die Strasse von Agios Nikolaos nach Sitia, kurvig wie fast alle Strassen
auf Kreta. Es lohnt sich, diese Strasse einmal zu später Nachmittagsstunde
von Sitia in Richtung Westen zu fahren. Von oben herab ergibt sch ein
grossartiges Panorama-Bild auf die Mirabello-Bucht, in der sich die in
den Meereswellen zerstiebenden Sonnenstrahlen spiegeln. Bevor der Abstieg
zum Meer herunter begnnt, liegt auf der rechten Seite eine kleine ökologisch
ausgerichtete Taverne, betrieben von einer Engländerin. Dort führt
auch die Abzweigung nach Norden, wo sich der Cub Aldiana befindet. Der
kleine, in der Nähe liegende Ort Mochlos war früher mal so ewas
wie ein Zentrum für Hippies und Aussteiger. Die Strände snd
nur klein, aber der Abstecher lohnt sich. In de beiden letzten Tavernen
des Ortes hat ene Schweizerin und in der anderen ene Holländerin
einen Griechen geheiratet und führt mit ihm das Geschäft. Eine
Tatsache, die wir in Griechenland des öfteren bobachtet haben - dass
nämlich Touristinnen im Urlaub einen Griechen kennen gelernt haben
und aus Liebesgründen gleich im Land geblieben sind.
Im äussersten Nordosten ist eine der Naturattraktionen der Insel
zu sehen - der Palmenstrand von Vaï. Ein erstaunliches Erlebnis -
man fährt durch karge karstige Landschaft und sieht auf einmal die
ersten, vom Staub des Frühjahrs etwas angegrauten Palmen. Am Strand
hat die Reinigungskraft der Meeresluft ihnen die grüne Farbe erhalten.
Diese Art von Palmen ist nach Angaben der Wissenschaftler nur hier beheimatet,
endemisch also. Wer natürlich andere Palmenstrände kennt - sei
es von Ostafrika, von der Südsee oder der Karibik, der kann sich
diesen Abstecher getrost ersparen.
Die
Chandras-Hochebene
Es ist bereits heiss gewesen in diesem Frühjahr - es ist Anfang Juni
und der Sommer ist nicht weit entfernt. Ein Teil der Pflanzen ist bereits
braun geworden und die Frühjahrsblütenpracht ist in den küstennahen
Regionen verschwunden.
Von Ierapetra zieht sich die Strasse nach Sitia im Nordosten durch bergiges
Land hindurch.
Nach ca 30 km erreicht man die Chandras-Hochebene. Die Luft ist anders,
milder, noch frühlingshafter, der nahende Sommer hat sich noch nicht
so intensiv ausgewirkt.
Auf schmalen Strassen durchqueren wir die Landschaft, kaum ein Tourist
verirrt sich hierher und auch die Kreter mit ihren Pick-up-Kombis sind
selten anzutreffen.
Hier ist er noch anzutreffen, der Zauber der griechischen Landschaft,
den der von mir sehr verehrte kretische Schriftsteller Nikos Kazantzakis
so wundervoll beschrieben hat. Der rote Klatschmohn blüht noch an
Wegesrändern und unter den alten Olivenbäumen, die sich über
Täler und Berge wie grüne Perlenketten hinwegziehen. Der gelbe
Ginster streckt seine Blüten dem Besucher entgegen und strömt
einen angenehmen Duft aus. Am Boden wächst, zum Teil von der hartgestrüppigen,
ubiquitären Macchia umgeben, der Thymian. Kostas, ein früherer
Reiseleiter hat uns auf einer Wanderung über die Kykladen gezeigt,
wie man sein Aroma erspüren kann. Man fährt einmal mit dem beschuhten
Fuss durch die
Thymian-Büschel
und sogleich ist er da, das sonnendurchwirkte, kraftvolle Aroma des Südens.Die
Steineiche mit ihren kleinen Blättern säumt die Wege, grosse
Disteln mit violetten Blüten locken die Schmetterlinge an, Feigenbäume
und Akazien runden das Bild der Flora ab. Über allem liegt eine fast
beschauliche Ruhe, die zum Verweilen und zum Schauen geradezu herausfordert,
nur das Zwitschern der Lerchen fügt dem optischen Eindruck noch einen
akustischen Glanzpunkt hinzu.
Einsame Küstenorte
im Süden der Insel
Fährt man von Ierapetra in den Westen an der Küstenstrasse entlang,
so verlässt man alsbald die Plastik-Szenerie. Die Dikti-Berge, hinter
denen gen Norden zu die berühnte Lassithi-Hochebene mit ihren heute
gar nicht mehr so zahlreichen Windrädern liegt, reichen bis an das
Meer und zwingt die Strasse zu vielen Kurven und in die Höhe. Weit
unten liegt das Lybische Meer, wie es die Griechen nennen. Unser Ziel
ist heute der kleine Küstenort Keratokampos. In schwindelnden Serpentinen
windet sich die schmale Strasse der Küste zu. Ein paar Häuser,
wenige Appartementhäuser für die ebenso wenigen Gäste,
eines davon blumengeschmückt und mit viel Liebe gepflegt, einige
Tavernen, eine sogar mit dem merkwürdig ungriechisch klingenden Namen
Morgenstern. Es ist noch relativ früh, so geniessen wir wieder einmal
den so wundervoll schmeckenden griechischen Kaffee - man trinkt ihn glykos
(süss), metrios (1 Telöffel Zucker) oder sketos (ungesüsst).
Wie in einem typischen Kafenion, der Zufluchtstätte griechischer
Männer, wo sie über die Nachbarn, die Regierung und die Welt
palavern, bekommt man ihn immer mit einem Glas Wasser. Wer will, kann
sich stundenlang daran festhalten und niemand wird ihn deswegen schief
ansehen.
Der nur ungefähr 10 km weiter westlich liegende Ort Tsoutsouros ist
touristisch absolut unattraktiv - alte Häuser, um die sich halb fertige
Neubauten scharen, ein unschön gestalteter Hafen - man fährt
am besten gleich wieder zurück.
In der Taverne To Kima (auf deutsch Die Welle) am Hafenbecken von Keratokampos
sitzen einige einheimische
Griechen beim Mittagessen - immer ein gutes Zeichen für die Qualität
der Küche. Maria, die Chefin, bedient mit freundlichem Wesen. Beim
Hinausschauen aufs Wasser nähert sich ein kleiner Fischerkahn, von
den Wellen des etwas auffrischenden Windes etwas schräg geneigt und
schaukelnd. Wir beobachten das Anlegemanöver.
Dem Boot entsteigen, zu unserer Verwunderung, drei Männer, von der
Grösse des Kahns her hätten wir nur einen einzigen Fischer vermutet
- Kerle wie Bäume, Typen wie Bud Spencer, nur noch etwas korpulenter.
In einer kleinen Plastiktüte bringen sie, so sieht es aus, ihren
Tagesfang herein. Trotz des nicht gerade berauschenden Fanges oder gerade
deswegen, beschliessen sie wohl ihren Frust mit Essen und Trinken zu beheben.
Eine Flasche Rotwein verschwindet innerhalb von zehn Minuten in den gewaltigen
Leibern, auch die Essensportionen sind nicht gerade zum Abnehmen gedacht.
So tafeln sie mit Bravour, aber wer weiss, was sie von ihren Frauen zu
hören bekommen, wenn sie mit diesem Fangergebnis leicht angesäuselt
den familiären Heimathafen ansteuern
D. Volkmer
Fortsetzung: Kretas
wilder Osten Teil 2 >>>
Wir empfehlen den
Reiseführer "Kreta" von Eberhard Fohrer aus dem Michael
Müller Verlag (15. Auflage, 2005). Ein wenig kostspieliger als die
einfachen Reiseführer: Aber die Mehrausgabe macht sich schnell bezahlt,
dennn er bietet die besten und ausführlichsten Informationen
Weitere lesenswerte Literatur des Verfassers (Näheres unter www.drvolkmer.de
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Abschied
vom Urknall – Thesen gegen das Unwahrscheinliche
In diesem Buch setzt sich der Autor mit den verschiedenen Theorien
über die Entstehung unseres Universum auseinander, mit den Schöpfungsmythen
der antiken Völker sowie der Schöpfungsgeschichte der Bibel
und versucht vor allem, den wissenschaftlichen Anspruch eines „Urknalls“
etwas in Frage zu stellen.
Erschienen bei Books on Demand, 2006, Preis 18.50 EUR
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