Dr. Dieter Volkmer
 
Teil 1
Teil 2

Zauber der griechischen Landschaft

Der Beginn Europas
Hier könnte es gewesen sein, an dieser Stelle der Ostküste Kretas, an der sich das Meer nicht schroffen Felsen gegenübersieht, sondern das Ufer etwas sanfter ansteigt, um nach einer längeren Schwimmstrapaze das rettende und gewünschte Land zu betreten. Hier könnte Zeus, verwandelt als weisser Stier mit der hübschen Europa auf senem Rücken wieder festen Boden unter den Hufen gehabt haben.
Der Mythos der Griechen ist voller Vielschichtigkeit und Phantasie. Nach diesen uralten Geschichten war Zeus wieder einmal mit seinen Adleraugen - der Feldstecher war noch nicht erfunden - auf der Pirsch nach den Schönen dieser Welt, zum Leidwesen seiner angetrauten Frau und Schwester Hera..
Und da am Gestade Phöniziens sah er sie - die Tochter des Königs Agenor, wie sie voll Charme mit ihren Gespielinnen Blumen zu Kränzen band und mit jugendlichem Übermut tanzte. Flugs gab er sich die Gestalt eines weissen Stiers und betrat die Szene der anmutig spielenden Mädchen. So grazil, wie es einem Stier nur eben möglich ist, scharwenzelte er um die jungen Damen herum, bis sie die Scheu vor ihm verloren.
Europa, als die mutigste, wagte sich sogar auf seinen Rücken - eine Tat, die sogleich erhebliche Folgen zeitigte. Denn mit ungeahnter Geschwindigkeit brauste der Stier in Richtung Meer davon und verschwand alsbald unter den Klagen und dem Wehgeschrei der Zurückbleibenden mit seiner süssen Last am Horizont. Kreta war sein Ziel.
Aus den Liebesnächten der beiden entstand das Geschlecht der Minoer, von denen bereits Homer berichtet: Der bekannteste ist der König Minos, der seinen Wohnsitz im Palast von Knossos gehabt haben soll. Die Sage vom Minotaurus, von Theseus und Ariadne dürfte den meisten bekannt sein. Seine beiden Brüder waren Radamanthis, der sein Domizil im Palast von Phaistos hatte, sowie Sarpedon, in Malia beheimatet.
Und schlussendlich war hier an dieser Stelle die Geburtsstunde für diesen Kontinent, der unser aller Heimat werden sollte: Europa.
An dieser oben erwähnten Stelle, der wir einmal die Landungsstelle des Zeus unterstellen wollen, befinden sich heute die Ruinen der alten Minoerstadt Zakros. Wer den Palast von Knossos gesehen hat, der zwar m.E. mit etwas zuviel Beton "restauriert" wurde, aber trotzdem noch sehenswert ist, wird her völlig enttäuscht sein. Was für den Archäologen gerade noch interessant sein mag, ist für den Laien nichtssagend. Steine, alte Mauern, einige schattenspendende Olivenbäume - dazu lohnt die weite Fahrt nicht. Die meisten Reiseführer berichten ohnehin nicht viel darüber.
Aber in diesem Bericht geht es uns ohnehin weniger um alte Ruinen und den Dunst der Vergangenheit, sondern um Menschen und Landschaften
Interessanter sind somit vielmehr die umliegenden kleinen Tavernen dieser Uferregion, die sich jetzt Kato Zakros nennt. Es ist Sonntag heute, ein Tag, an dem die Griechen zumeist in die Gaststätten am Meer flüchten und in grossen Gruppen miteinander essen. Sie scheinen viel Zeit zu haben, es macht Spass, ihnen zuzuschauen, denn was sie zun, ist eher mit "schmausen" zu umschreiben. Viele kleine Teller auf den Tischen und jeder nimmt sich von jedem etwas. Kulinarischer Sozialismus - so könnte man es etwashumorvoll beschreiben.
Am Ufer hat der Wirt der Taverne Nikos Platanakis die Tamarisken mit Tomaten, Kräutern, Artischocken und getrockneten Früchten verziert, ein stimmungsvolles Ambiente, um im Schatten der Bäume Einkehr mit Blick auf die stetig anbrandenden Meereswellen zu halten.

Kurze Geografie des Ostens
Der Osten Kretas - damit wollen wir einmal weitgehend jene Region umschreiben, die östlich einer gedachten Linie zwischen Agios Nikolaos und Ierapetra liegt - ist zum Glück touristisch noch nicht so verdorben wie die Orte an der Nordküste, an denen die Badetouristen in mehreren Reihen an den Sandstränden liegen, um irgendetwas sehr Vergängliches mit nach Hause zu nehmen - die Bräune. Hier im Osten ist noch Platz für Individualisten

Im Norden dieses Ostens liegt die grosse Mirabello-Bucht. An der dünnsten Stelle, der Wespentaille von Kreta liegt im Süden Ierapetra, die südlichste europäische Stadt. Die Temperaturen sind im Frühjahr und Herbst bis fast in den Wnter hinein angenehm und warm. Wer mit dem Auto nach Ierapetra hineinfährt, wird erst einmal erschrocken sein ob der vielen Gewächshäuser, die mit Plastikfolien abgedeckt sind und zugegebenermassen die Landschaft etwas verschandeln. In diesen Treibhäusern werden Gemüse, Obst und Blumen gezogen, denn die milden Temperaturen im Winter fördern das Wachstum.
Wer sich die Mühe macht und westlich von Ierapetra das auf kurviger Strasse erreichbare Bergdorf Anatoli ansteuert oder zum grössten Stausee Kretas fährt, der hat einen nicht gerade berauschenden Blick auf die mehr als zahlreichen Gewächshäuser. Leider haben die Griechen noch kein so rechtes Umweltbewusstsein. Denn es gibt viele nicht mehr benutzte Treibhäuser - die Plastikfolie ist zerrissen, die Holzgerüste stehen als Torso dar und der Wind zerrt an den noch anhaftenden Plastikbahnen. Entsorgung spielt offenbar im Mittelmeerrraum noch nicht die gebührende Rolle.
In Ierapetra wird eine Schiffsfahrt zu der Insel Chrissi, auch Eselsinsel genannt, angeboten. Fahrtdauer eine Stunde. Die Insel ist unbewohnt und bietet einige schöne, z.T. weisse Strände. Verpflegung und Wasser sollte man mitnehmen, denn die Preise auf dem Schiff und drüben in der tagsüber offenen Taverne sind alles andere als touristenfreundlich.

Im Nordosten führt die Strasse von Agios Nikolaos nach Sitia, kurvig wie fast alle Strassen auf Kreta. Es lohnt sich, diese Strasse einmal zu später Nachmittagsstunde von Sitia in Richtung Westen zu fahren. Von oben herab ergibt sch ein grossartiges Panorama-Bild auf die Mirabello-Bucht, in der sich die in den Meereswellen zerstiebenden Sonnenstrahlen spiegeln. Bevor der Abstieg zum Meer herunter begnnt, liegt auf der rechten Seite eine kleine ökologisch ausgerichtete Taverne, betrieben von einer Engländerin. Dort führt auch die Abzweigung nach Norden, wo sich der Cub Aldiana befindet. Der kleine, in der Nähe liegende Ort Mochlos war früher mal so ewas wie ein Zentrum für Hippies und Aussteiger. Die Strände snd nur klein, aber der Abstecher lohnt sich. In de beiden letzten Tavernen des Ortes hat ene Schweizerin und in der anderen ene Holländerin einen Griechen geheiratet und führt mit ihm das Geschäft. Eine Tatsache, die wir in Griechenland des öfteren bobachtet haben - dass nämlich Touristinnen im Urlaub einen Griechen kennen gelernt haben und aus Liebesgründen gleich im Land geblieben sind.
Im äussersten Nordosten ist eine der Naturattraktionen der Insel zu sehen - der Palmenstrand von Vaï. Ein erstaunliches Erlebnis - man fährt durch karge karstige Landschaft und sieht auf einmal die ersten, vom Staub des Frühjahrs etwas angegrauten Palmen. Am Strand hat die Reinigungskraft der Meeresluft ihnen die grüne Farbe erhalten. Diese Art von Palmen ist nach Angaben der Wissenschaftler nur hier beheimatet, endemisch also. Wer natürlich andere Palmenstrände kennt - sei es von Ostafrika, von der Südsee oder der Karibik, der kann sich diesen Abstecher getrost ersparen.

Die Chandras-Hochebene
Es ist bereits heiss gewesen in diesem Frühjahr - es ist Anfang Juni und der Sommer ist nicht weit entfernt. Ein Teil der Pflanzen ist bereits braun geworden und die Frühjahrsblütenpracht ist in den küstennahen Regionen verschwunden.
Von Ierapetra zieht sich die Strasse nach Sitia im Nordosten durch bergiges Land hindurch.
Nach ca 30 km erreicht man die Chandras-Hochebene. Die Luft ist anders, milder, noch frühlingshafter, der nahende Sommer hat sich noch nicht so intensiv ausgewirkt.
Auf schmalen Strassen durchqueren wir die Landschaft, kaum ein Tourist verirrt sich hierher und auch die Kreter mit ihren Pick-up-Kombis sind selten anzutreffen.
Hier ist er noch anzutreffen, der Zauber der griechischen Landschaft, den der von mir sehr verehrte kretische Schriftsteller Nikos Kazantzakis so wundervoll beschrieben hat. Der rote Klatschmohn blüht noch an Wegesrändern und unter den alten Olivenbäumen, die sich über Täler und Berge wie grüne Perlenketten hinwegziehen. Der gelbe Ginster streckt seine Blüten dem Besucher entgegen und strömt einen angenehmen Duft aus. Am Boden wächst, zum Teil von der hartgestrüppigen, ubiquitären Macchia umgeben, der Thymian. Kostas, ein früherer Reiseleiter hat uns auf einer Wanderung über die Kykladen gezeigt, wie man sein Aroma erspüren kann. Man fährt einmal mit dem beschuhten Fuss durch die

Thymian-Büschel und sogleich ist er da, das sonnendurchwirkte, kraftvolle Aroma des Südens.Die Steineiche mit ihren kleinen Blättern säumt die Wege, grosse Disteln mit violetten Blüten locken die Schmetterlinge an, Feigenbäume und Akazien runden das Bild der Flora ab. Über allem liegt eine fast beschauliche Ruhe, die zum Verweilen und zum Schauen geradezu herausfordert, nur das Zwitschern der Lerchen fügt dem optischen Eindruck noch einen akustischen Glanzpunkt hinzu.

Einsame Küstenorte im Süden der Insel
Fährt man von Ierapetra in den Westen an der Küstenstrasse entlang, so verlässt man alsbald die Plastik-Szenerie. Die Dikti-Berge, hinter denen gen Norden zu die berühnte Lassithi-Hochebene mit ihren heute gar nicht mehr so zahlreichen Windrädern liegt, reichen bis an das Meer und zwingt die Strasse zu vielen Kurven und in die Höhe. Weit unten liegt das Lybische Meer, wie es die Griechen nennen. Unser Ziel ist heute der kleine Küstenort Keratokampos. In schwindelnden Serpentinen windet sich die schmale Strasse der Küste zu. Ein paar Häuser, wenige Appartementhäuser für die ebenso wenigen Gäste, eines davon blumengeschmückt und mit viel Liebe gepflegt, einige Tavernen, eine sogar mit dem merkwürdig ungriechisch klingenden Namen Morgenstern. Es ist noch relativ früh, so geniessen wir wieder einmal den so wundervoll schmeckenden griechischen Kaffee - man trinkt ihn glykos (süss), metrios (1 Telöffel Zucker) oder sketos (ungesüsst). Wie in einem typischen Kafenion, der Zufluchtstätte griechischer Männer, wo sie über die Nachbarn, die Regierung und die Welt palavern, bekommt man ihn immer mit einem Glas Wasser. Wer will, kann sich stundenlang daran festhalten und niemand wird ihn deswegen schief ansehen.
Der nur ungefähr 10 km weiter westlich liegende Ort Tsoutsouros ist touristisch absolut unattraktiv - alte Häuser, um die sich halb fertige Neubauten scharen, ein unschön gestalteter Hafen - man fährt am besten gleich wieder zurück.
In der Taverne To Kima (auf deutsch Die Welle) am Hafenbecken von Keratokampos sitzen einige einheimische Griechen beim Mittagessen - immer ein gutes Zeichen für die Qualität der Küche. Maria, die Chefin, bedient mit freundlichem Wesen. Beim Hinausschauen aufs Wasser nähert sich ein kleiner Fischerkahn, von den Wellen des etwas auffrischenden Windes etwas schräg geneigt und schaukelnd. Wir beobachten das Anlegemanöver.
Dem Boot entsteigen, zu unserer Verwunderung, drei Männer, von der Grösse des Kahns her hätten wir nur einen einzigen Fischer vermutet - Kerle wie Bäume, Typen wie Bud Spencer, nur noch etwas korpulenter. In einer kleinen Plastiktüte bringen sie, so sieht es aus, ihren Tagesfang herein. Trotz des nicht gerade berauschenden Fanges oder gerade deswegen, beschliessen sie wohl ihren Frust mit Essen und Trinken zu beheben. Eine Flasche Rotwein verschwindet innerhalb von zehn Minuten in den gewaltigen Leibern, auch die Essensportionen sind nicht gerade zum Abnehmen gedacht. So tafeln sie mit Bravour, aber wer weiss, was sie von ihren Frauen zu hören bekommen, wenn sie mit diesem Fangergebnis leicht angesäuselt den familiären Heimathafen ansteuern

D. Volkmer

Fortsetzung: Kretas wilder Osten Teil 2 >>>

Wir empfehlen den Reiseführer "Kreta" von Eberhard Fohrer aus dem Michael Müller Verlag (15. Auflage, 2005). Ein wenig kostspieliger als die einfachen Reiseführer: Aber die Mehrausgabe macht sich schnell bezahlt, dennn er bietet die besten und ausführlichsten Informationen


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