Es ist weitgehend
bekannt, dass psychologische Faktoren einen grossen Einfluss auf
Heilungsprozesse haben oder haben können.
Denn es zeigt sich immer wieder, dass manche Patienten sich erstaunlich
schnell von einem Unfall erholen, andere hingegen bei annähernd
gleicher Verletzungsschwere eine längere Genesungssdauer aufweisen.
Wie stark also ist der Einfluss der Psyche auf den Körper?
Bislang sind jedoch wenig Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt
worden, die diese Thesen oder Vermutungen untermauern.
Der Kieler Psychologie-Professor Frey untersuchte nunmehr an Unfall-Patienten,
inwieweit die Psyche einen Einfluss auf die Dauer des Klinik-Aufenthalts
sowie auf Schnelligkeit der Rekonvaleszenz bis hin zur Wiederaufnahme
der beruflichen Tätigkeit hat.
In dieser Studie befragte Frey 200 Patienten, die wegen eines Sport-,
Arbeits- oder Verkehrsunfalls in die Kieler Universitätsklinik
eingeliefert wurden.
Dabei ergaben sich interessante Ergebnisse.
Bei der Befragung sollten die Patienten zu folgenden Fragen eine
Stellung beziehen. Frey bezeichnete sie mit dem von ihm kreierten
Wort als "Grübelfaktoren":
1. Wer war schuld
am Unfall?
2. Wäre der Unfall vermeidbar gewesen?
3. Warum gerade ich?
Weiterhin sollten
die Patienten subjektive Aussagen zu ihrem Genesungsprozeß
treffen:
1. Inwieweit hat meine eigene Einstellung zu diesem Geschehen einen
Einfluss auf die Heilung
2. Wann werde ich wieder gesund oder arbeitsfähig sein?
Die Dauer des
Klinikaufenthaltes - und das ist eigentlich das Hauptergebnis der
Untersuchung - war "nur" zu 20 bis 30 Prozent durch die
Schwere der Verletzung abhängig. Zu mindestens 50 Prozent schienen
psychologische Faktoren die Aufenthaltsdauer zu beeinflussen.
Diejenigen Patienten, die sich selbst die Schuld am Unfall gaben
oder der Ansicht waren, er wäre vermeidbar gewesen, blieben
durchschnittlich zehn Tage länger in der Klinik als Menschen,
die eine gewisse fatalistische Einstellung zeigten und das Geschehen
für unausweichlich hielten.
Die grübelnde und bohrende Frage "Warum gerade ich?"
führte ebenfalls zu einer 50 Prozent längeren Genesungszeit
als bei den Leidensgenossen, die ihr Los akzeptierten und sich nicht
in diese Zweifelsfragen hineinsteigerten.
Eine ebenfalls deutliche Auswirkung zeigte das positive Denken.
Hatte der Patient den teilweise unerschütterlichen Glauben,
persönlich den Genesungsprozess und damit den Verlauf der "Krankheit"
beeinflussen zu können?
Bei einer positiven Einstellung zu diesem Thema lag die Dauer der
Auskurierung bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz bei durchschnittlich
80 Tagen. Bei der Vergleichsgruppe betrug diese Zeit durchschnittlich
140 Tage.
Allein aus diesen Fakten ergäbe sich - auch im Hinblick auf
die Wirtschaft - die Notwendigkeit des Einsatzes geschulter Psychologen,
die nicht allein durch lange Gespräche, sondern durch positive
"Umschaltung" den Krankheitsverlauf nicht nur bei Unfallpatienten
verbessern oder beschleunigen könnten.
Die Befragung ergab noch weitere Hinweise auf die Dauer der Rekonvaleszenz.
Die Tatsache, dass der Patient seine Arbeit langweilig oder interessant
findet, hatte keinen Einfluss auf die Dauer des Klinikaufenthaltes.
Die Dauer der Rekonvaleszenz insgesamt jedoch, das heisst auch des
anschliessenden Aufenthaltes in häuslicher Umgebung oder in
einer Reha-Klinik war abhängig davon, ob der Patient seine
Arbeit uninteressant fand, oder noch ausgeprägter, wenn es
Konflikte am Arbeitsplatz gab oder er diese befürchtete.
Diese Faktoren werden ja heutzutage durch die Untersuchungen der
Psychoneuroimmunologie bestätigt.
Weitere interessante Ergebnisse zeigten Untersuchungen an Berliner
AIDS-Patienten. Probanden, die ihre Krankheit für unvermeidbar
hielten und sich nicht in die "Warum ich?"-Grübelei
vertieften und die zudem der Ansicht waren, die Krankheit selbst
kontrollieren zu können und sie als Herausforderung, also als
Aufgabe betrachteten, zeigten sechs Wochen nach der Befragung rund
50 Prozent mehr T4-Helferzellen auf. Helferzellen unterstützen
die Bildung von Antikörpern.
Die Konsequenz
aus den Untersuchungen ist eindeutig: Jammern, Klagen und Selbstmitleid
sind Faktoren, die einen Krankheitsprozess verlängern und die
Genesung stören.
Mit dem Schicksal hadern ist die beste Möglichkeit, eine Heilung
von was auch immer in die Länge zu ziehen bzw. zu erschweren.
Eine Patientengeschichte aus der letzten Zeit war für mich
ein eindrucksvolles Beispiel für das weiter oben gesagte.
Das Gesicht sprach schon Bände, leidend-vorwurfsvoll, kein
Lächeln zur Begrüßung. Alles begann angeblich mit
einer Mayr-Kur und einer Zahn-Behandlung. Es wurden alte Brücken
entfernt und Amalgamfüllungen gegen Kunststoff ausgewechselt.
Nach dieser Behandlung kam es zu Neuralgien, Migräne und Depressionen.
In der Tat: Es wurden Zähne mit Wurzelfüllungen versehen,
einige sogar mit einer Wurzelspitzenresektion. Insgesamt wies die
Patientin im vorderen Oberkiefer-Bereich insgesamt sechs avitale
Zähne auf. Wegen dieser Beschwerden musste die Patientin nach
ihren Aussagen ihre Selbständigkeit als Kosmetikerin aufgeben
und eine Heilpraktiker-Ausbildung abbrechen. Eine Heilpraktikerin
hatte bereits eine adäquate Entgiftungstherapie eingeleitet.
Entscheidend war aber ihre ständige, sich wiederholende Aussage:
Die (es war eine Zahnärztin) hat mein Leben ruiniert. Die ist
an allem Schuld. Eine Diskussion über eine Lösung in der
Zukunft war nicht möglich, da immer die alten Zuweisungsmuster
auftauchten. So dürften auch die Heilungsaussichten sehr gering
sein,
Es erhebt sich
am Schluss die Frage, ob eine geeignete psychologische Betreuung
die Dauer oder die Stärke von Krankheitsbildern verringern
oder mildern und damit einen entscheidenden Einfluss auf die rasant
steigenden Ausgaben des Gesundheitssystems haben kann.
Montaigne erkannte schon sehr richtig: Der Mensch leidet nicht so
sehr durch das, was ihm widerfährt, sondern durch die Art,
wie er es ansieht und hinnimmt.
Dr. Dietrich
Volkmer
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