Die deutsche
Sprache hat eine Unzahl von Wörtern, die sich nicht oder nur
unter grossen semantischen "Verrenkungen" in eine andere
Sprache übertragen lassen.
Sicher ist es in anderen Sprachen ähnlich.
So
wurde in letzten Jahr das schönste deutsche Wort gesucht. Aus
22 838 Einsendungen, davon 65 Prozent weibliche Absender, wählte
ein Gremium das Wort "Habseligkeiten" aus. Als zweites
Wort ging "Geborgenheit" aus dem Wettstreit hervor, gefolgt
von "lieben" und "Augenblick".
Wie der Leser nur unschwer erkennen kann, haben sämtliche Wörter
eine irgendwie emotionale Ansprache. Sicherlich könnte man
über alle Wörter reflektieren. In dieser Abhandlung wollen
wir uns aber auf das Siegerwort beschränken, weil es gerade
in diese Jahreszeit mit seinen frühen dunklen Abenden passt.
Und zudem steht das Weihnachtsfest vor der Tür.
Es ist ein Wort
voller Doppel- und Tiefsinnigkeit, in dem irgendwie ein Charme steckt,
ein zu Herzen gehendes Anklingen, es erweckt in all den Menschen,
die das Gefühl für unsere Muttersprache trotz der oberflächlichen
Kontaktmöglichkeiten wie SMS, Fax oder E-Mail noch nicht verloren
haben, ein Mitschwingen tieferer Schichten, die man spontan logisch
erst einmal nicht begründen kann.
Zudem vermeint man oberflächlich fast eine Unvereinbarkeit
beider Wortteile zu verspüren. Es vereint prima vista die beiden
Wörter "Haben" und "Selig-Sein", es klingt
nach Besitz und kann es wiederum nicht sein, da Selig-Sein offenbar
das Streben nach unbedingtem Besitzen-Wollen bzw die Jagd nach materiellem
Besitz auszuschliessen scheint.
Man denke an das Neue Testament, in dem Jesus sagt: Eher geht ein
Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den
Himmel kommt.
Aber: Etymologisch jedoch hat der zweite Wortteil "selig"
nichts mit Seligkeit zu tun, sondern stammt aus der Wurzel "...sal",
wie wir sie in vielen deutschen Wörtern finden. Man denke an
Schicksal, Trübsal, Rührsal, Mühsal.
Auch das heute nur in der Mehrzahl verwendete Wort Habseligkeiten
hatte früher bis zum 18. Jahrhundert ein Singular Habsal, das
aber aus unserer Sprache entschwunden ist.
Die beiden deutschen Standardwerke für die Etymologie, der
Duden und der Mackensen, halten sich mit der Deutung der Silbe "...sal"
etwas bedeckt, so dass wir auf die mehr esoterische Deutung zurückgreifen
müssen. Demzufolge steckt darin das lateinische Wort "salus"
- Heil, Gesundheit, Wohlergehen.
Daraus ergibt sich die Interpretation: Alles, was man an Besitz
hat, soll zum eigenen Wohlergehen verwendet werden, wobei hier wohl
das Augenmerk nicht auf das rein körperliche Heil, sondern
mehr das Seelenheil gerichtet werden soll.
Ähnlich sind auch die oben aufgeführten Wörter zu
deuten: Schicksal - das zum Heil geschickte, wo doch gerade die
meisten Menschen diesem "Geschickten" eine negative Bewertung
zukommen lassen. Motto: Warum gerade ich? Warum nicht ein anderer?
Jenseits dieser
etwas nüchtern erscheinenden Definitionsversuche hat das Wort,
um das es in dieser Betrachtung geht, aber etwas Rührendes
an sich. Man verknüpft es im Inneren mit dem Wort "Armselig",
also einem Wenig an Hab und Gut.
In unserer Zeit der Überflussgesellschaft können sich
die meisten jüngeren Menschen mit einem solchen Wort kaum noch
anfreunden oder finden keinen Zugang zu ihm.
Ältere Menschen, die die Zeit der Not und der bitteren Armut
nach dem Krieg noch bewußt erlebt haben, empfinden bei dem
Wort Habseligkeiten ganz anders.
Gerade vor kurzem unterhielt ich mich mit einer bewundernswert rüstigen
älteren deutschen Dame des Jahrgangs 1928, in deren Haus in
Florida wir einen Abend zu Gast waren, über das Thema "Habseligkeiten".
In ihr stiegen sofort die Bilder der Vergangenheit auf: Das Nahen
der russischen Truppen an ihre ostpreussische Heimat, dann die Flucht
- gerade einmal mit dem Lebensnotwendigsten versehen, eben dem,
das man mit seinen Händen fassen und tragen bzw am Körper
haben konnte. Den Habseligkeiten also.
Sogleich stiegen
auch in mir die Kinderbilder wieder auf: 1944 im Winter als Kind,
das die Zusammenhänge nicht begriff, auf der Flucht vor den
Russen aus Breslau ins Riesengebirge. Zu Fuß. Das ganze Hab
und Gut auf einem kleinen Handwagen verstaut. Mutter und Grossmutter
zogen vorn und ich mußte hinten schieben.
Sämtliche Habseligkeiten auf einem Wägelchen untergebracht.
Und gerade 18 Monate später noch einmal das Zusammenraffen
sämtlicher Habseligkeiten - in Viehwaggons mit dem Notdürftigsten,
dem was man Tragen konnte - ab in den Westen als Flüchtling.
So
mag sicher jeder bei dem Wort "Habseligkeiten" seine eigenen
Assoziationen entfalten.
Wie aber oben
schon angedeutet: In der christlichen Mythologie und Literatur tritt
der Aspekt der Habseligkeiten in Form von Armut immer wieder auf.
Man denke an Franz von Assisi, der wohl nirgendwo besser dargestellt
wird als in dem Buch des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis
"Mein Franz von Assisi". Wenn schon dieser Dichter erwähnt
wird, so möchte ich den geneigten Leser auf eines der grossartigsten
Werke von Kazantzakis verweisen: "Die Griechische Passion".
Hier trifft eine Schar von vertriebenen Griechen mit ihren wahrhaft
geringen Habseligkeiten auf ein wohlhabendes Dorf. Daraus ergeben
sich eine Reihe von fast neutestamentlich anmutenden Szenen.
Und somit sind
wir auch bei dem links angeführten Bild von Albrecht Dürer,
das in unsere Nachweihnachtszeit passt: Maria und Josef mit dem
Christuskind auf der Flucht nach Ägypten vor den Schergen des
Königs Herodes.
Auch sie hatten wohl kaum mehr bei sich als ihre Habseligkeiten.
Ein Kompliment
derjenigen Dame, die dieses Wort als schönstes Wort zum "Wettbewerb"
eingereicht hat. Man kann darüber sinnieren, meditieren und
nachdenken. Wahrlich ein herrliches Wort.
Dr. Dietrich Volkmer
Eine etwas verkürzte und geänderte Version finden Sie
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